Reise-Blog: Mein Schweden-Traum

Im Kanadier in Dalsland (Schweden) dem Sonnenaufgang entgegen.

Seit einigen Jahren träume ich von einer Kanu-Tour in Schweden. Letzten Herbst erfüllte ich mir diesen und es war traumhaft!

In Schweden, genauer gesagt in Dalsland, war ich bereits zweimal und beide Male faszinierte mich die Natur und vor allem die Seen-Systeme. Klar, dass ich als passionierter Kanufahrer unbedingt mal eine Kanu-Tour in dieser einzigartigen Landschaft unternehmen möchte. Letzten Oktober ist es dann so weit, aber ob das Wetter eine mehrtägige Kanu-Tour zulässt, ist lange Zeit unklar. Deshalb verfolge ich fleissig den Wetterbericht und entdecke ein geeignetes Zeitfenster. Es wird vier Tage mehrheitlich trockenes, aber kühles Wetter vorher-gesagt. Also brechen meine Frau und meine beiden Jungs auf in dieses Abenteuer. Aufgrund des gemeldeten Windes entscheiden wir uns, auf Empfehlung meines Onkels, welcher vor Jahrzehnten nach Dalsland ausgewandert ist, für eine Tour auf eher kleineren Seen, so dass wir möglichst wenig auf offenem See paddeln und immer mit der Option, unterwegs abzubrechen, falls die Bedingungen zu gefährlich werden.

Kühler Start
Mit unserem geliehenen Kanadier, einem Gatz Cherokee, starteten wir in der Nähe von Skapafors. Zur Sicherheit ist der Kanaider mit einer Persenning (Abdeckung des Oberdecks) ausgestattet, worüber wir bald noch sehr froh sein wer-den. Auf dem schmalen See Svärdlang planen wir in Richtung Norden zu paddeln. Der See ähnelt eher einem Fluss ohne Strömung. Eingebettet zwischen Hügeln und Wäldern sind wir optimal vom Wind geschützt. Trotz windstille ist es eisig kalt, als wir unser Kanu einwassern. Dank der aufkommenden Sonne werden wir aber etwas erwärmt und wir geniessen die Einsamkeit und die atemberaubende Natur mit den farbigen Wäldern, fast wie im Indian Summer. Es liegen 6,5 km vor uns bis zu unserem ersten geplanten Rastplatz. Wir haben im Vorhinein mögliche Übernachtungsorte festgelegt, wo es kleine Unterstände hat. So müssen wir lediglich eine Blache mitnehmen, um die offene Seite abzudecken und können auf das mitschleppen eines Zeltes verzichten. Wir kommen sehr gut voran, so dass wir bereits nach dem Mittag auf dem Felsrücken ankommen, wo wir unsere erste Nacht verbringen werden. Es bleibt uns genügend Zeit für das Einrichten unseres Lagers, Essen kochen, Eichhörnchen beobachten und diesen wunderschönen Ort zu geniessen. Im Sommer wird um diese Plätze regelrecht gekämpft, aber jetzt im Herbst ist keine Menschenseele zu sehen und es ist absolut friedlich. Mit einem wunderschönen Sonnenuntergang und dem Einbruch der Dunkelheit, natürlich schon sehr früh um diese Jahreszeit in Schweden, kriechen wir in unsere neuen, superwarmen Schlafsäcke. Diese schätzen wir in dieser eisigen Nacht, in welcher das Thermometer unter null Grad fällt.

Polenta zum Frühstück
Wir überstehen die erste Nacht trotz ungewohnter Umgebung erstaunlich gut und etwas frustriert stelle ich fest, dass ich wohl der Einzige war, der etwas kühl hatte. Ist wohl meinem Schlafsack geschuldet, rede ich mir ein. Ich blicke hinter dem Blachen hervor in der Überzeugung, den blauen Himmel zu bestaunen, aber weit gefehlt. Wir sind im dicken Nebel eingepackt, so dass wir nicht einmal den 15 Meter entfernten See erkennen. Keine optimalen Voraussetzungen für eine Kanu-Tour. In der Hoffnung, dass sich der Nebel auflöst, entfachen wir das Feuer und bereiten unser Frühstück zu. Von Anfang an haben wir uns entschieden, dass wir unsere Essgewohnheiten umstellen. Am Morgen und am Abend, wenn wir sowieso ein Feuer entfachen, geniessen wir unsere warmen Mahlzeiten beispielsweise Risotto, Polenta oder Linsen und zum Mittagessen ist lediglich ein Müesli vorgesehen. So dass wir am Mittag kein Feuer machen müssen und die Mittagspause kurzhalten können. Das erste Mal Polenta zum Frühstück ist dann schon etwas gewöhnungsbedürftig. Aber immerhin lichtet sich der Nebel und macht einer wunderschönen Morgenstimmung Platz. Nun heisst es Material zusammenpacken, Boote laden und weiterpaddeln. Bereits vor den ersten zwei Kilometern steht unsere erste Portage, eine Umtragung von einem zum anderen See bevor. Wir laden unseren Kandier wieder aus, tragen alles Gepäck und das Boot über eine Landstrasse und wassern alles im See namens Västra Silen ein. Auch dieser ist am Anfang sehr schmal und wird dann allmählich et-was breiter. Ab da spüren wir den Westwind, vor allem bei den Buchten, welche Ost-West ausgerichtet sind. Trotzdem paddeln wir im flotten Tempo weiter, so dass wir die knapp 13 Kilometer bis zum nächsten Nachtlager schnell absolvie-ren. Dieses befindet sich auf einer Insel in der Mitte vom See. Gegen Westen ist der See nun offen. Von daher bläst ein heftiger Wind und eine starke Strömung kommt uns entgegen. Wir suchen Schutz hinter einer vorgelagerten Insel, kon-zentrieren uns und paddeln dann mit aller Kraft gegen die Strömung, die unge-fähr 150 Meter zur Insel mit unserem nächsten Nachtlager.

Leben als Inselbewohner
Auf der Insel angekommen, suchen wir den einen Unterstand und erkunden die Insel. Laut Wettervorhersagen steht uns eine windige Nacht bevor. Wir richten uns ein, Essen unsere Portion Risotto und legen uns ins Nachtlager. Wie befürchtet nimmt der Wind stetig zu. Es rauscht in den Bäumen, es rauscht der See und unsere Blache flattert heftig. Irgendwann in der Nacht sagt meine Frau zu mir: „Schatz, wenn es am Morgen so stark windet, bleiben wir halt einen Tag auf der Insel“. Diese Gedanken sind mir tatsächlich auch schon durch den Kopf. Bei solch einem Sturm im vollgeladenen Kandier mit zwei Kindern die 1,2 Kilometer Seequerung zu machen, wäre auch im Sommer ein grosses Risiko gewesen, geschweige dann im Herbst bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt. Nun ist es noch nicht so weit, versuchen wir zu schlafen. Und oh Wunder, morgens um sechs Uhr lässt der Wind nach. Laut Wettervorhersagen allerdings nur ein kurzer Unterbruch, bevor es dann erneut zu stürmen beginnt. Wir entschei-den uns, in aller Eile zu packen und bereits um 8 Uhr unternehmen wir die Fahrt ans Festland. Diese gelingt uns ohne grössere Schwierigkeiten und so erreichen wir den Kanal in Richtung Gustavors. Umgeben von Wäldern sind wir hier wieder vor Wind geschützt und so geniessen wir die Fahrt durch den mystischen Kanal. Weiterhin begegnen wir keiner Menschenseele. Dass es im Sommer hier anders zu und her geht, lassen die Berge an Kanus am Eingang von Gustavors erahnen. Auf einem alten Industrie-Areal, welches heute als Kanu-Vermietung und Hotel dient, entdecke ich mehrere hundert Alu-Kanadier. Jetzt im Herbst ist kein Mensch zu entdecken und die Schleuse, bei welcher man im Sommer lange Wartezeiten hat, ist nicht mal in Betrieb. So müssen wir wiederum alles Material und das Boot auswassern, die Schleuse umtragen und wieder einwassern. Bei dieser Prozedur kommt uns eine Frau mit Hund entgegen, welche uns ziemlich verwirrt anschaut. Kanufahrer im Herbst sind hier offenbar eine Seltenheit. Aber ansonsten sind wir völlig allein und die schmucken Häuser am See scheinen komplett unbewohnt.

Die Herausforderung auf dem Lelang
Wieder im Boot bewegen wir uns auf dem Lelang. Einer der längsten Seen in Dalsland. Noch sind wir geschützt in der Bucht von Gustavors. Bald schon erreichen wir aber den Hauptsee, wo uns eine knapp 2 Kilometerlange Seequerung von Osten nach Westen bevorsteht. Eigentlich nicht so eine Schwierigkeit, aber der vorausgesagte Wind, dieses Mal aus südlicher Richtung, bläst uns ungemütlich entgegen. Die Mannschaft wird auf die bevorstehende Herausford-rung eingeschworen und wir paddeln, was das Zeugs hält. Die Wellen schlagen uns entgegen und spätestens jetzt sind wir heilfroh über der Persenning und die Spritzdecken. Einige Wellen schlagen über den Kanadier und ich traue mir nicht auszumalen, was bei einer Kenterung passieren würde. Der Wind und die Wellen würden uns in der Mitte des Sees kilometerlang Richtung Norden treiben, im eiskalten Wasser und kein Mensch würde uns sehen. Weg mit den Gedanken, weiter paddeln und immer bereit, zu stützen, wenn die nächste Welle unser Kahn ins Schwanken bringt. Schätzungsweise eine halbe Stunde kämpfen wir auf offenem Gewässer bei Wind und Wellen. Endlich erreichen wir am anderen Ufer das Dorf Torrskog und kurz darauf unser nächstes Nachtlager. Offenbar der einzige Sandstrand auf unserer ganzen Kanu-Tour. Die heutige Etappe war gerade mal 8 Kilometer lang, aber physisch und psychisch eine Herausforderung.

Wunderschöne Stimmungen
Dieses Nachtlager am Sandstrand, so romantisch es klingen mag, ist aus verschiedener Hinsicht nicht ideal. Die offene Seite ausgerichtet nach Süden steht voll im Wind. Das Dach der Hütte ist offensichtlich nicht mehr dicht und ausgerechnet in dieser Nacht wird Regen vorhergesagt. Zu guter Letzt ist der Sand wenig hilfreich für Ordnung und Sauberkeit im Nachtlager. Aber die wunderschöne Lage, die weite Aussicht, die Vollmond-Stimmung und der eindrückliche Sonnenaufgang machen auch dieses Nachtlager zu einem faszinierenden Ort. So schlafen wir ein letztes Mal im Unterstand draussen in der Natur. Ich bin bereits etwas wehmütig. Aber wir freuen uns darüber, dass es kaum regnet und in der Nacht der Wind gedreht hat, so dass wir nun Rückenwind haben.

Schlussspurt nach Edsviken
Ein letztes Mal frühstücken, heute mal Linseneintopf, nochmals alles im Boot verstauen und einwassern. Dank der Übung der letzten Tage geht es so rasch, dass wir bei Sonnenaufgang bereits am Paddeln sind und das ist wahrlich ein unvergessliches Erlebnis. Vom Wind begünstigt kommen wir rasch voran und die farbigen Wälder ziehen an uns vorbei. Es steht uns deutlich die längste Etappe unserer Reise bevor mit 20 Kilometer Länge. Im Gegensatz zu den bisherigen Tagen sehen wir vor uns die Weite des Sees, fast die ganze Strecke bis nach Bengtsfors, wo wir dann ein letztes Mal den See wechseln. Die Orientierung wird nun massiv schwieriger. Mit unserer sehr rudimentären Touristenkarte versuchen wir uns anhand von Inseln und Buchten zu orientieren. In meiner gesamten Paddler-Karriere war die Orientierung niemals ein Problem, bis heute. Da überall am Ufer Wald ist und es praktisch keine Dörfer gibt, kann kaum ausgemacht werden, ob das nun eine Bucht ist oder nicht und ob da eine Insel im See liegt oder das doch das Festland ist. Als ob das nicht genug wäre, wechselt der Wind von Rückenwind auf Seitenwind. Insbesondere bei den Buchten wird das zu einem Problem, wenn Wind und Wellen aus westlicher Richtung sich aufbauen und uns drohen in die Mitte des Sees zu treiben. Gegen die Mittagszeit erreichen wir Bengtsfors, eines der grösseren Städtchen in Dalsland und wir bestaunen die prächtigen Häuser am See. Mittagsrast machen wir auf einer In-sel und ich bin bis zum Schluss nicht hundertprozentig sicher, ob wir auf der Insel sind, welche ich auf der Karte ausgemacht habe. Nun müssen wir noch den schmalen Tunnel zum Ärtingen See finden. Der auffrischende Wind und die Seitenwellen machen die letzten vier Kilometer noch anstrengender, als die Tour sonst schon ist. Als wir beim Ausstieg unweit von unserer Ferienwohnung ankommen, begrüsst uns bereits von Weitem meine Tante. Hundemüde, aber unglaublich glücklich über dieses grossartige Abenteuer in der Wildniss und herbstlichen Verlassenheit von Dalsland, steigen wir aus dem Kanadier. Mein Traum ist in Erfüllung gegangen, ich darf mir einen Neuen suchen. Kann aber gut sein, dass ich nochmals zurückkehre nach Dalsland für eine Kanu-Tour!

Zum Reisbericht als PDF: www.kanuwelt.ch/sites/default/files/Reisebericht_Kanu-Tour_Schweden_2022...